Die Digitalisierung ist bereits überall um uns herum. Sie ist ein ständiger Begleiter in jedem Aspekt unseres Lebens – auch in der Arbeitswelt. Die Folgen sind überall zu spüren und zu sehen: Maschinen arbeiten Hand in Hand mit Menschen, Daten werden in Millisekunden verarbeitet und übertragen, und mit wenigen Klicks können sich Kollegen aus aller Welt in Echtzeit über Strategien austauschen.
Doch die Digitalisierung ist erst seit kurzem ein Hype. Und sie ist mit vielen Hoffnungen, Erwartungen und Ängsten verbunden, von denen viele unberechtigt oder überzogen sind. Es ist höchste Zeit, dass wir die Digitalisierung entmystifizieren! Bei einem Mittagessen, das kürzlich bei Russell Reynolds stattfand, diskutierten die Teilnehmer 5 sehr interessante Thesen zur Digitalisierung.
- Digitalisierung ist ein nebulöser Begriff.
- Die Digitalisierung findet seit mehr als 50 Jahren statt.
- Die Digitalisierung führt zum Verlust von Arbeitsplätzen – aber auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze.
- Die Digitalisierung fördert Kreativität und Innovation.
- Die Digitalisierung erfordert ein Umdenken der Unternehmen und ihrer Führungskräfte.
Digitalisierung ist ein nebulöser Begriff.
Digitalisierung ist ein Modewort geworden. Jeder benutzt es und doch scheint kaum jemand zu wissen, was der Begriff eigentlich bedeutet. Was genau beinhaltet die Digitalisierung? Künstliche Intelligenz? Große Datenmengen? Bots? Blockchain? IoT? Maschinelles Lernen? Oder etwas ganz anderes?
Ohne eine klare Definition ist der Begriff nutzlos: Er ist so vollgestopft mit Bedeutungen, Assoziationen und Konnotationen, dass er im Grunde alles bedeutet – und uns somit nichts sagt. Das Einzige, wofür Schlagworte wie Digitalisierung gut sind, ist, dass sie als Mittel zur Täuschung verwendet werden: Man benutzt sie, um Ängste zu schüren oder um sich als vermeintliche Experten zu präsentieren. Meiner Meinung nach muss der Begriff Digitalisierung entmystifiziert und klar definiert werden. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich ausdrücklich davon abrate, den Begriff überhaupt zu verwenden. Für die Zwecke dieses Textes werde ich ihn jedoch aus Gründen der Konsistenz weiterhin verwenden. Ich werde den Begriff ausdrücklich verwenden, um die Art und Weise zu beschreiben, in der digitale Technologien die Art und Weise verändern, wie Menschen zusammenarbeiten.
Die Digitalisierung findet schon seit mehr als 50 Jahren statt.
Als ich anfing, im Finanz- und Rechnungswesen zu arbeiten, wurden noch Rechenschieber verwendet. Ich habe Säulenbuchhaltung, Telex und schnurgebundene Telefone hautnah miterlebt und war dabei, als die ersten PCs eingeführt wurden und unsere Arbeit revolutioniert haben. Wenn von Digitalisierung die Rede ist, wird sie oft auf das 21. Jahrhundert beschränkt – und dabei vergessen, dass Computer zum Beispiel schon in den 1950er Jahren in die Massenproduktion gingen.
Das bedeutet, dass die Digitalisierung seit mindestens 50 Jahren im Gange ist. Die Digitalisierung gab und gibt es in allen Lebens- und Arbeitsbereichen, es gibt also unzählige Beispiele: In der Produktion etwa haben die Fabrik und das Fließband die Zusammenarbeit von Menschen ebenso revolutioniert wie heute Flow und Roboter. Oder nehmen wir zum Beispiel Fotos: der Weg von der analogen Filmentwicklung zur digitalen Verarbeitung und Speicherung auf PC und Handy – die Digitalisierung. Oder Geld: von Goldmünzen zu Papiergeld, zu digitalen Anleihen – Digitalisierung!
Die Digitalisierung als Umwälzung der Art und Weise, wie Menschen zusammenarbeiten, ist also nicht neu. Die Arbeitswelt war schon immer einem ständigen Wandel unterworfen. Neu sind erstens die enormen Datenmengen, die zur Verfügung stehen, und zweitens die Fähigkeit, diese Daten in noch nie dagewesener Geschwindigkeit zu verarbeiten und zu interpretieren. Diese Erkenntnis mag die Digitalisierung weniger aufregend und besonders machen – aber auch viel weniger mystisch und einschüchternd.
Die Digitalisierung führt zwar zum Verlust von Arbeitsplätzen – aber auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Wenn Menschen über die Digitalisierung nachdenken oder sprechen, haben sie oft Angst, dass sie durch die digitale Transformation ihren Arbeitsplatz verlieren. Sie befürchten, dass ihre Aufgaben durch neue Prozesse obsolet werden und dass sie intellektuell nicht mithalten können – weder mit der Geschwindigkeit, mit der sich die Welt verändert, noch mit den Maschinen, die sie ersetzen könnten.
Und es ist wahr: Viele früher übliche Aufgaben und Tätigkeiten werden nicht mehr benötigt. In der Luftfahrt zum Beispiel haben elektronische Tickets die Papiertickets ersetzt, Check-Ins finden online statt, die gesamte Logistik wird über IT-Systeme geplant und abgewickelt. Das hat zur Folge, dass Arbeitsplätze wegfallen: Es werden weniger Mitarbeiter an Check-in-Schaltern und dergleichen benötigt. Gleichzeitig entstehen aber auch neue Aufgabenbereiche und ganze Branchen, die neue Arbeitsplätze mit sich bringen: Schließlich muss jemand die entsprechenden IT-Systeme programmieren, steuern und anpassen. So entstehen neue Berufe wie Datenanalysten, Datenforscher, Faktenchecker und viele mehr. Neue Unternehmen, die tief in der IT-Infrastruktur verwurzelt sind, sind auf dem Vormarsch – und die größten unter ihnen, wie Amazon, Google und Facebook, schaffen hunderttausende von Arbeitsplätzen.
Neue Arbeitsplätze entstehen nicht nur im digitalen Sektor selbst: Viele Jobs können und werden nicht von Maschinen erledigt werden. Bei aller Sorge um die Überlegenheit von Maschinen und künstlicher Intelligenz müssen wir feststellen: Bisher machen Maschinen nur genau das, was ihnen von Menschen beigebracht wurde, auch beim maschinellen Lernen. Das macht es den Maschinen unmöglich, über den Tellerrand hinauszuschauen. Maschinen werden daher zwar viele Routineaufgaben übernehmen und dies effizienter tun als Menschen, aber es fehlt ihnen an Kreativität und Einfühlungsvermögen. In Bereichen, in denen diese Eigenschaften besonders wichtig sind, wie z. B. in der Ausbildung und in der Pflege, werden Menschen immer gebraucht werden.